Handlungsfelder

Für die Freiheit der Wissenschaft!

Diese Idee einte die zahlreichen internationalen Veranstaltungen des March for Science 2017. Dabei wurden international unterschiedliche Akzente gesetzt. Denn die Situation in Deutschland ist eine völlig andere als beispielsweise in der Türkei, in Ungarn oder den USA. Auch die Herausforderungen, mit denen die Wissenschaft in den verschiedenen Ländern konfrontiert ist, unterscheiden sich. Daher setzen die deutschen Veranstaltungen auch eigene Schwerpunkte.

Die zahlreichen Rückmeldungen und Ideen, die uns während des und nach dem „March for Science“ 2017 erreichten, haben wir in ein Rahmenmodell integriert.

 

Handlungsfelder

In den Rückmeldungen konnten wir drei Anknüpfungspunkte der Wissenschaft ausmachen, die die inhaltlichen Handlungsfelder des Rahmenmodells darstellen:
  • Wissenschaft und Gesellschaft: Wissenschaft ist Teil der Gesellschaft, und weite Teile der Gesellschaft finden Wissenschaft gut. Was an Forschung fasziniert und begeistert, welche Menschen dahinter stecken und was sie Tag für Tag machen, steht im Fokus dieses Handlungsfeldes. Forscher/innen, die einen gleichberechtigten Dialog mit der wissenschaftsinteressierten Öffentlichkeit pflegen und versuchen, den Weg zu ihren Erkenntnissen und deren Sinn zu kommunizieren, tragen so zu einem positiven Bild der Wissenschaft in der Gesellschaft bei – und zeigen überdies, dass sie den Menschen (durch deren Steuergelder sie ja nach wie vor großenteils finanziert werden) auch etwas zurückgeben.
  • Wissenschaft und Bildung: Menschen zu verantwortlichen Persönlichkeiten heranzuziehen, die nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse kritisch hinterfragen, sondern auch in der Lage sind, ihre Kritik auf Grundlage soliden Wissens konstruktiv zu begründen, ist unserer Bewegung ein wichtiges Anliegen. Um dies zu erreichen, ist die Zusammenarbeit mit Bildungsinstitutionen, insbesondere Schulen, gefragt. Wer verstanden hat, wie der wissenschaftliche Erkenntnisprozess funktioniert, und Sachkenntnis und kritisches Denken verbindet, läuft weniger leicht Gefahr, auf politisch motivierte Desinformation und Lügen hereinzufallen.
  • Wissenschaft und Politik: Unsere gewählten Volksvertreter/innen tragen die Verantwortung dafür, politische Entscheidungen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu treffen. Diese Entscheidungen sollten auf der Grundlage der besten verfügbaren Informationen gefällt werden, sprich, auf Grundlage wissenschaftlicher Evidenz und Argumentation. Politische Entscheidungsträger/innen müssen die Fähigkeit und die Bereitschaft mitbringen, diese zu verstehen. Die Wissenschaft selbst hat hier kein Mandat; ihre Aufgaben liegen im Schaffen neuer und der Replikation vorhandener Erkenntnis. Wissenschaft kann jedoch dafür sorgen, dass ihre Ergebnisse in verständlicher Form kommuniziert werden – und sich einmischen, wenn politische Entscheidungen auf Grundlage verzerrter Informationen oder gar auf gezielter Lügen durchgesetzt werden sollen. Des Weiteren ist es wichtig, Solidarität mit Forscher/innen in Ländern zu zeigen, die in ihrer Arbeit gehindert oder gar bedroht werden. Wissenschaft hat eine Verantwortung für den Erhalt unserer Demokratie; und in Zeiten, wo diese nicht nur in anderen Ländern, sondern auch hierzulande bedroht wird, ist es nicht nur legitim, sondern sogar nötig, dass Wissenschaftler/innen sich als Bürger in den politischen Diskurs einbringen.

Die Wissenschaftskommunikation ist Mittel, um die Verbindung zwischen Wissenschaft und den verschiedenen Handlungsfeldern herzustellen. Sie schafft die Basis für das gegenseitige Verständnis. Nicht alle Forscher/innen können und wollen natürlich außerhalb ihrer Forschungsbereiche kommunizieren. Aber diejenigen, die es können und wollen, sollen für dieses wichtige Engagement keine Nachteile erleiden.

Grundlegende Werte

Die drei Handlungsfelder werden durch zwei übergeordnete Werte der Wissenschaft zusammengehalten:
  • Wahrheit: Wissenschaft strebt nach Wahrheit. Diese ist naturgemäß in einer sich ständig ändernden Welt und mit unseren stets begrenzten Mitteln unerreichbar; dennoch versucht Wissenschaft, sich ihr mit nachvollziehbaren Methoden bestmöglich anzunähern. Das unterscheidet wissenschaftliche Erkenntnisse von Meinungen.
  • Freiheit: Freiheit, möglicherweise der wichtigste Wert unserer Demokratie, ist die Voraussetzung dafür, dass Wissenschaft ergebnisoffen arbeiten kann. Was die Freiheit der Wissenschaft einschränkt, beschränkt folglich auch die Aussagekraft und Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Der Kontext: das Wissenschaftssystem

Wissenschaft, ihre Werte und Ideale müssen unterschieden werden vom Wissenschaftssystem, dem Kontext, in dem Wissenschaft stattfindet. Dieser sollte bestmöglich dazu beitragen, dass Forscherinnen und Forscher im Einklang mit den oben skizzierten Werten frei und ergebnisoffen nach Wahrheit streben können. Wenngleich es der Forschung hierzulande vergleichbar gut geht, gibt es durchaus Faktoren, die diese Freiheit einschränken.
  • Wissenschaftler/innen stehen beispielsweise unter enormem Druck, möglichst viel zu publizieren, was leicht dazu verführt, eigentlich noch vorläufige Ergebnisse zu veröffentlichen oder ihre Ergebnisse auf mehrere Veröffentlichungen aufzuteilen, was einen Blick auf das „große Ganze“ erschwert. Dies schadet zwangsläufig der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit; davon zeugt die steigende Zahl korrigierter und zurückgezogener Artikel.
  • Des weiteren wird von ihnen erwartet, in möglichst großem Maße Drittmittel, also Gelder von außen einzuwerben. Das entlastet zwar die ohnehin schon angespannten Budgets der Hochschulen; jedoch identifizierte das „Wissenschaftsbarometer 2018“ die Abhängigkeit von externen Geldgebern als zentralen Grund, warum der Wissenschaft von vielen Menschen Misstrauen entgegengebracht wird.
  • Die steigende Zahl der Drittmittelanträge führt überdies dazu, dass viele (auch sehr gute) von ihnen abgelehnt werden und die viele Zeit und Arbeit, die hochqualifizierte Menschen investiert haben, fruchtlos verpufft.
  • Die wichtige Kommunikation mit der Öffentlichkeit wird dagegen nicht honoriert, sondern reduziert im Gegenteil nur die ohnehin knappe Zeit für karrieretechnisch relevantere Ziele wie Veröffentlichungen und Einwerben von Geldern. Denn bei der Berufung auf eine der wenigen Professuren spielen vor allem solche quantitativen Indikatoren eine Rolle, wie eine Studie aus der Psychologie zeigt. Viele hochqualifizierte und hochmotivierte Menschen gehen dadurch leer aus. Eine solche Verschwendung von Potenzial wäre in den meisten anderen Bereichen undenkbar.
Dass Wissenschaftler/innen trotz suboptimaler Arbeitsbedingungen Freude an ihrer Arbeit haben, darf kein Vorwand sein, daran nichts zu ändern. Dem Prinzip der Bestenauslese, das wir unterstützen, widerspricht dies nicht. Ein zu starker Fokus auf quantitative Qualitätsindikatoren anstelle einer ganzheitlichen Würdigung individueller Lebensleistungen reduziert jedoch die Vielfalt im System, von der die Wissenschaft letztlich lebt. Die Bewertungskriterien, an denen Wissenschaftler/innen gemessen werden, sind auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umbrüche kritisch zu hinterfragen.
Konkurrenzdruck und Abhängigkeit von externer Finanzierung begünstigen die Beforschung „sicherer“ Fragestellungen und behindern dadurch Kreativität und Innovation, mithin das, was Wissenschaft ausmacht. Gute Forschung braucht Zukunftsperspektiven. Die derzeitigen Rahmenbedingungen und Anreizstrukturen des Wissenschaftssystems sind mit den Werten der Freiheit und der Wahrheit nur bedingt vereinbar; und daran wollen wir etwas ändern.
Wir wollen, dass Forscherinnen und Forscher frei nach Wahrheit streben können und dass es honoriert wird, wenn sie Verantwortung für unsere demokratische Gesellschaft übernehmen, deren Teil sie sind.
Wer uns bei der Erreichung dieses Ziels unterstützen will, ist herzlich willkommen.